Ein Haufen Steine – Karfreitagpredigt


Liebe Gemeinde!

Ein Haufen Steine bilden die Grundlage des Altarschmucks, der uns in diesem Jahr durch die Passionszeit begleitet hat. Mitten in diesem Steinhaufen steht eine Glasvase. Aus ihr ragen zwei  Zweige hervor, der eine kahl, der andere der Stiel einer roten Rose. Um die Glasvase ist Stacheldraht gewickelt. Über ihr erhebt sich das Holzkreuz unseres Kirchsaals, ja, es scheint wir Zweig und Rose geradezu daraus hervorzugehen. Oder breitet es sich schützend über das Ensemble?

2015_02_14_altarschmuckSteine – sie spielen auch in einer Geschichte im vorderen Teil des Johannesevangeliums eine Rolle. Bei der Begegnung Jesu mit einer Ehebrecherin. Die Pharisäer haben eine Frau beim Ehebruch ertappt und zu ihm geschleppt. Sie fordern Jesus auf, gemäß dem Gesetz des Mose das Urteil zu sprechen: Steinigung. Jesus hält sich zunächst mit einem Urteil zurück. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Mit diesen Worten fordert er stattdessen die Pharisäer auf, ihr eigenes Gewissen auf mögliche Gesetzesbrüche hin zu prüfen. Nur ein reines Gewissen würde ihnen das Recht geben, einen anderen Menschen zu verurteilen. Die Pharisäer sind so ehrlich, sich einzugestehen: Vor Gott ist kein Mensch ohne Sünde. So legen sie ihre Steine nieder und gehen davon. Ich stelle mir vor, dass dabei ein Steinhaufen entsteht, der ähnlich aussieht wie der auf unserem Altar. Als Jesus sieht, dass die Ankläger von der Frau abgelassen haben, verzichtet auch er darauf, sie zu verdammen. Er fordert sie stattdessen auf, von nun an nicht mehr zu sündigen.

„Vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“ Diese Einsicht des Psalmbeters war den Pharisäern wohl bekannt. Und auch jeder von uns hat dies wohl im Laufe seines Lebens einmal erkennen müssen, wenn ihm über begangenem Unrecht die Augen aufgingen. Diese Erkenntnis ist schmerzlich. Sie zerstört das gute Bild, das wir von uns selber haben. Sie tut weh und belastet uns. Wobei es natürlich nicht nur Schuld ist, die uns wie ein Stein auf der Seele liegen kann. Ängste, Sorgen, Traurigkeit, Niederlagen können uns in ähnlicher Weise belasten und nach unten ziehen.

Johannes gelingt es nun auf überzeugende Weise, über die belastende Kraft der Sünde hinaus den Zusammenhang zwischen Sünde und Aggression darzustellen. Zunächst wird die Frau als sündige Person und Ehebrecherin in den Mittelpunkt gestellt. Wobei wir nicht erfahren, ob sie die eigene Ehe gebrochen hat oder in eine fremde eingedrungen ist. Aber nicht etwa diejenigen, die dadurch Schaden erlitten haben, klagen sie an. Sondern die nicht betroffenen Pharisäer.

Sie sind nicht die Opfer, spielen sich aber trotzdem als Ankläger auf und versuchen, Jesus in die Rolle des Richters zu drängen. Warum tun sie das wohl? Zum einen sicher aus einem Interesse am Gesetz des Mose heraus, dessen Gültigkeit ihnen ein besonderes Anliegen war. Aber Jesus deckt auch ein verborgenes Interesse auf, nämlich die Ablenkung von eigenen Sünden. Er richtet ihren Blick weg von der Frau auf die eigene Person, auf die eigene Sündhaftigkeit. Indem sie die Schuld der Frau herausgestellt haben, brauchen sie sich mit ihrer eigenen  nicht auseinander zu setzen und haben geschickt davon abgelenkt. Ja, es ist fast wie ein menschlicher Reflex, von eigenem Unrecht abzulenken, indem wir auf die Schuld anderer verweisen. Sünde und Schuldgefühle lassen uns nach Steinen greifen, die wir nach anderen werfen.

Aber auch erfahrenes Unrecht und Ängste können einen dazu treiben, aggressiv zu werden. Im Zusammenhang mit dem Symbol der Steine denke ich an die so genannte Intifada im Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis. Da machte sich die Perspektivlosigkeit und Unterdrückung der jungen Palästinenser Luft, indem sie Steine nahmen und auf israelische Panzer warfen. Ein relativ harmloser Anfang und Ausdruck eines viel größeren Konfliktes.

Der Stacheldraht hier an unserem Altarschmuck erinnert an vergleichbare politische Auseinandersetzungen. An wie vielen Stellen war die Grenze zwischen Ost-und Westdeutschland jahrzehntelang mit Stacheldraht gesichert! Wie viele Menschen haben sich an diesem Stacheldraht blutig gerissen! Und nun entstehen schon wieder neue Grenzzäune, die uns vor der Zuwanderung weiterer Flüchtlinge schützen sollen. Vor Menschen, die doch selber nur vor Unrecht, das ihnen zugefügt wird, auf der Flucht sind.

Ein Teufelskreis – Menschen erfahren Unrecht. Entbehrungen und Verletzungen lasten Ihnen wie Steine auf der Seele. Und viele erliegen der Versuchung, diese Steine als Waffen zu gebrauchen, auf andere zu werfen und nun wiederum sie zu verletzen.

Nicht jeder mag so offen aggressiv veranlagt sein. Mancher richtet den Schmerz über erfahrenes oder begangenes Unrecht auch gegen sich selber. Im Märchen von dem Wolf und den sieben Geißlein schneidet die Muttergeiß dem aggressiven Wolf den Bauch auf und holt ihre  Kinder heraus, die er gefressen hat. An ihrer Stelle füllt sie seinen Bauch mit Wackersteinen. Sie belasten ihn schwer. So fällt er, als er das nächste Mal Wasser trinkt, in den Bach und ersäuft.

Bei Menschen kann es durchaus so sein, dass sie begangenes Unrecht wie solche Wackersteine empfinden, die ihnen schwer auf der Seele liegen. Wer von uns hätte das nicht schon erlebt! So manchen hat diese Last schon dazu getrieben, sich das Leben zu nehmen.

Jesus lädt alle Lastenträger ein – egal ob sie unter der Last begangener Schuld ächzen oder unter dem Gewicht einer Sorge oder eines Kummers – sich von ihrer Last zu befreien. Sozusagen einen Frühjahrsputz der Seele durchzuführen. Ihre Last niederzulegen. Sie am Fuße seines Kreuzes abzulegen.

Da liegt er – ein ganzer Haufen von Steinen, die Menschen unter dem Kreuz Jesu abgelegt haben. Ein ganzer Berg von Schuld, von Verlusten, von Übervorteilung, die Menschen erfahren haben. Wir sind eingeladen, es ihnen gleich zu tun, und das, was auf unserer Seele lastet, unter dem Kreuz Jesu abzulegen.

Wer in diesen Tagen Frühjahrsputz in seinem Garten hält, wer Farbe in seinen Garten bringen möchte, der pflanzt Blumen, Primeln etwa oder Stiefmütterchen. Der buddelt ein Loch, setzt die Pflanze hinein und häufelt vielleicht noch ein wenig Erde um das zarte Pflänzchen herum, um die Wurzeln zu schützen. So kann das Pflänzchen gedeihen und Blüten tragen.

Wie aber soll aus einem Steinhaufen wie dem hier vorne etwas Lebendiges hervorgehen? Da kann nichts Lebendiges wachsen. Steine und Stacheldraht – sie führen zu immer neuen Auseinandersetzungen und Verletzungen. Auch wenn wir uns manchmal etwas anderes wünschen. Auch wenn wir von etwas anderem träumen.

In einem beliebten geistlichen Lied der siebziger Jahre etwa fanden solche Träume ihren Ausdruck. Da gab es vielleicht noch keine Terroranschläge, wie sie uns heute in Angst und Schrecken versetzen. Aber Unfreiheit, Gewalt und Ungerechtigkeit herrschten auch damals in vielen Ländern und ließen manchen nur die Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen. So wie damals die Israeliten vor der Unterdrückung durch die Ägypter durch das Rote Meer geflohen sind. Wobei Flucht ja immer nur eine Notlösung ist. Eigentlich wäre es ja viel besser, wenn jeder an seinem Ort, in seiner Heimat die Chance auf ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit hätte. Diesen Träumen wurde damals mit folgenden Worten Ausdruck verliehen: „Wenn das Rote Meer grüne Welle hat, dann ziehen wir frei, dann ziehen wir  heim frei aus dem Land der Sklaverei. Wenn der Stacheldraht rote Rosen trägt, dann bleiben wir hier. Dann bleiben wir hier, weil sich das Land gewandelt hat.“

Dass alle Länder dieser Erde sich wandeln, dass sie zu Orten der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Wohlstands werden – den Traum von damals sollten wir nicht aufgeben. Mit Steinen und Stacheldraht aber kann man die Welt nicht verändern. Genauso wenig wie mit Bomben. Mit ihnen bringt man keine Rosen zum blühen. Aber man kann sie am Kreuz Jesu ablegen. Etwa mit Worten, in dem wir Jesus alles nennen, was unsere Seele belastet und schwer macht. Oder beim Abendmahl, bei dem wir Jesus unsere Sünden und Nöte sozusagen vor die Füße legen.

Bei ihm sind sie gut aufgehoben. Bei ihm verlieren sie ihre zerstörerische Kraft, denn Jesus hat sie an sich austoben lassen. Er hat sich von den Stacheln der Dornenkrone verletzen lassen. Er hat die Last von Schuld und Aggression am Kreuz getragen und ertragen. Ihn haben sie zerstört, damit sie uns nicht mehr zerstören können.

Das Kreuz Jesu nimmt Steinen und Stacheldraht ihre zerstörerische Kraft, ja, es hat verwandelnde Kraft. Es wirkt wie ein Katalysator. Es setzt einen Verwandlungsprozess in Gang.

Beim Abendmahl dürfen wir die Frucht von Jesu Kreuzesweg empfangen.  Wir dürfen die Steine unserer Traurigkeit und Schuld abladen und uns stattdessen durch das Brot von Jesu Hingabe und Liebe sättigen lassen. Beim Abendmahl begegnen wir Gott als unserem liebevollen Vater. „Wer ist unter euch Menschen, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete?“ So fragt Jesus in der Bergpredigt und wählt damit menschliche Elternliebe als Beispiel und Vorbild für Gottes Willen, uns Gutes zu tun. Gott jedoch ist uns noch viel stärker zugetan, als Menschen es ihren Kindern sind. Er gibt uns nicht Steine statt Brot. Er gibt uns umgekehrt Brot für Steine. Er nimmt uns die Last dessen ab, was uns wie ein Stein auf der Seele liegt, und sättigt uns stattdessen durch das Brot seiner Liebe. Bei ihm dürfen wir unseren Hunger nach Zuwendung, Anerkennung und Sinn stillen.

Doch der Verwandlungsprozess, den Jesu Tod am Kreuz auslöst, geht noch weiter. Auch die Menschen, die nach Jesu Kreuzigung dem Auferstandenen begegnen, mit ihm Abendmahl feiern und seine Vergebung annehmen, werden verwandelt. Aus dem Zweifler Thomas wird ein gläubiger Mensch. Aus Petrus, der Jesus verleugnet hat, wird ein Bekenner und ein Fels der jungen Gemeinde. Und die Männer, die sich schließlich die Mühe machen, die Geschichte von Jesus aufzuzeichnen, rücken zwar seine Leidensgeschichte stark in den Vordergrund. Aber es ist, als ob sie in den dunklen und stacheligen Hintergrund dieser Geschichte immer wieder auch so etwas wie eine Rose hinein flechten. Kleine Lichtblicke, die zeigen: Gott ist auch auf diesem schweren Weg mit Jesus unterwegs.

So berichten sie  etwa von einem Menschen, der Jesus für eine Zeit lang sein Kreuz abnimmt und nach Golgatha trägt. Lukas erzählt von dem einen Mitgekreuzigten, der sich noch kurz vor dem Tod bekehrt. Und von Johannes erfahren wir, dass Jesus noch am Kreuz eine ganz besondere Beziehung zwischen seinem Jünger Johannes und seiner Mutter stiftet. Kleine Lichtblicke in dunkler Stunde. Einzelne Rosen vor dunklen Hintergrund.

Dieser Verwandlungsprozess, den das Kreuz Jesu in Gang setzt, will auch uns erfassen. Wir dürfen Jesus das bringen, was uns wie Steine belastet, und bei ihm gegen das Brot seiner Zuwendung eintauschen. Nicht alle Probleme lösen sich dadurch in nichts auf. Aber sie verlieren ihre zerstörerische Kraft. Ja, hier und da gelingt es uns, zwischen allen widrigen Umständen auch so etwas wie eine Rose zu entdecken. Ein Zeichen der Liebe und Zuwendung Gottes, ein Zeichen, dass er uns nicht vergessen hat.

Wir dürfen uns am Brot der Zuwendung Jesu sättigen. Dieses Brot schenkt Kraft: Kraft, in die Welt zugehen, Steine durch Brot zu ersetzen, Aggressionen die Spitze zu nehmen und stattdessen Rosen in die Stacheldrahtzäune dieser Welt zu flechten. Amen.

Dr. Sylvia Hartmann

 

 

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