Wir suchen das Leben – Ostersonntagpredigt von Präses Manfred Rekowski


Predigt über 1. Korinther 15,3-5 
von Präses Manfred Rekowski im Gottesdienst der Evangelischen Kirchengemeinde Tönisheide, am Ostersonntag, 27. März 2016, 10 Uhr, in Velbert-Tönisheide

 

Liebe Gemeinde,

herzlichen Dank für Ihre Einladung in Ihren Ostergottesdienst 2016, hier in Ihrer schönen Kirche: Sie bildet ein reizvolles Ensemble mit den umgebenden Fachwerkhäusern aus dem späten Mittelalter. Hier atmet Tradition, denn diese Kirche ist seit 1680 bis heute das Gotteshaus für die Evangelische Kirchengemeinde in Tönisheide. So manches Osterfest wurde hier schon zu den unterschiedlichsten Zeiten gefeiert.

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Das tun wir auch heute: Allen verstörenden Bildern des Terrors, des Schreckens und der Gewalt der letzten Tage zum Trotz begannen wir den Gottesdienst zu Ostern, dem Fest der Auferstehung, mit einem Osterlied, das vom Sieg des Lebendigen und des Lebens über den Tod strotzt: „Wir wollen alle fröhlich sein.“

Lassen wir uns nun mit Worten aus der Bibel, die seit Jahrhunderten unsere Tradition ist, auf das Ostergeschehen ein. Der 1. Korintherbrief ist Teil eines längeren Briefwechsels, den Paulus mit der Gemeinde in Korinth geführt hat. Paulus greift im 1. Korintherbrief auf ein sehr frühes Glaubensbekenntnis zurück, das er selbst schon „empfangen“ hat und das er nun noch einmal an die Korinther „weitergibt“:

Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe:
Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
und dass er begraben worden ist;
und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift;
und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.

(1. Korinther 15, 3-5)

I. Von Augenzeugen und anderen Betroffenen

Diese Haltung kennen wir: Was ich nicht selbst mit eigenen Augen gesehen habe, glaube ich auch nicht. Was man nicht fotografieren kann, hat auch nicht stattgefunden. Menschen zücken heute überall und jederzeit ihr Handy, um im Bild festzuhalten, was sie gerade erleben, um es dann teilen zu können. Ostern bietet da fast nichts – lediglich ein leeres Grab.

Paulus selbst ist nicht Zeuge der Auferstehung. Damit kann er nicht dienen, da hat er nichts zu bieten. Aber trotzdem wurde es für ihn Ostern, und davon kann er durchaus erzählen. Er beschreibt, wie es für ihn Ostern geworden ist und welchen Weg er durch Gottes Wirken – in seiner Sprache: „durch seine Gnade“ – gehen konnte: Er war vom „Verfolger der ersten Gemeinde“ zum „Gemeindegründer“ geworden. Das sogenannte „Damaskus-Erlebnis“ hatte aus dem Saulus einen Paulus gemacht; gewissermaßen die Geschichte einer Ent-Radikalisierung, von der unsere Welt viele braucht. Der Abschied vom blinden Hass und Eifer war für sein Leben „wie eine neue Geburt“.

Obwohl Paulus nicht selbst Zeuge der Auferstehung gewesen ist, bezieht er sich selbst ein in den Kreis der Auferstehungs-Bürgen. Im Galaterbrief schreibt er „eigenhändig“, dass er den auferstandenen Christus gesehen und dieser ihn in seine Nachfolge gerufen hat. Dermaßen hat ihn diese Nachricht von Jesu Auferweckung durch Gott ergriffen und gepackt, dass es für ihn ist, als sei er selbst dabei gewesen. Der Auferstandene ist ihm erschienen. Das Osterereignis ist für ihn keine Geschichte von gestern, sondern eine Fortsetzungsgeschichte, die bis heute aus einer Kette von Zeugen und Zeuginnen besteht. Manche hatten Bekehrungserlebnisse, andere sind eher unauffällig im christlichen Glauben groß geworden. Alle folgen dem Liebhaber des Lebens, der Leben schafft, erhält und erneuert – und der dem Tod und seinen Helfershelfern das Feld nicht überlässt.

II. Der Blick für die Realitäten

Paulus formuliert keine zeitlosen Wahrheiten, sondern setzt sich mit seiner Gegenwart auseinander: er beschreibt die gesellschaftliche und kirchliche Situation. Heute hätte er möglicherweise an einer der kirchlichen Mitgliedschaftsuntersuchungen mitarbeiten können.1

Paulus legt auch seinen Blick kritisch auf die Gemeinde in Korinth und sieht die kulturelle, religiöse und soziale Vielfalt der Stadt, die sich in der christlichen Gemeinde widerspiegelt. Christliche Gemeinden, also die Versammlung von Menschen, die an den Menschenfreund Jesus Christus glauben, wird es nie „sortenrein“ geben. Die Mehrzahl der Gemeindeglieder waren damals ehemalige Heiden, daneben hat es auch Judenchristen gegeben. Ein großer Teil der Gemeinde gehörte zu den sozial unterprivilegierten Schichten, aber nicht zu den ganz Armen. Es gab in der Gemeinde auch Angehörige der Oberschicht, die ihrem Wohlstand entsprechend Räumlichkeiten für die Gemeindeversammlungen und Herrenmahlfeiern zur Verfügung stellen konnten. Die Gerechtigkeitsfrage, die Frage nach angemessener Teilhabe, war auch damals ein unerledigtes Thema. Heute ist das im Weltmaßstab so, aber auch in unserem Land2 .

Es gab damals Parteiungen, also Zoff, in der Gemeinde. Paulus hat keine zeitlosen Wahrheiten formuliert, sondern in seinen Briefen immer einen Blick für die Realitäten gehabt und sich damit auseinandergesetzt. Er hat die lebendige Tradition des Glaubens eingebracht, und er hat die Situation der Einzelnen und der Gemeinden interpretiert.

Wie fällt Ihr Blick auf die Realitäten in Ihrer Kirchengemeinde Tönisheide aus? Wie ist es um Ihre kulturelle, religiöse und soziale Vielfalt bestellt? Sie scheinen eine lebendige Gemeinde zu sein, in der es viele Kreise und Gruppen gibt3.

Sie zeigen eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten, die von den verschiedenen Kreisen für alle Interessenlagen der Gemeindemitglieder angeboten werden. Wie geht es Ihnen nach der Presbyteriumswahl vom 14. Februar 2016? Mit welchen Zukunftsaufgaben, mit welchen Problemen hat Ihr Leitungsorgan zu kämpfen? Ist die gemeindliche Vielfalt bereichernd oder herausfordernd? Fordert die kulturelle, religiöse und soziale Vielfalt Ihrer Stadt Sie heraus?

III. Der gemeinsame Grund des Glaubens

Wie häufig bei strittigen Fragen erinnert Paulus die Adressaten zunächst an die gemeinsame Tradition, an den Grund des gemeinsamen Glaubens. Dem wollen wir nachgehen:

1. „gestorben (ist) für unsere Sünden nach der Schrift“

Wenn Paulus vom Sterben Jesu, von seiner Kreuzigung spricht, dann spricht er nicht von einem längst vergangenen historischen Ereignis. Er spricht davon, was Gott in Christus für uns – hier „für unsere Sünden“ – tut.

Unter Sünde versteht die Bibel, die Neigung des Menschen, zuerst und oft ausschließlich an das eigene Wohl zu denken. In unserer Zeit zeigt sich dies im verbreiteten Phänomen der Gier und im Bemühen um Selbstoptimierung.

Am Kreuz zeigt sich, wie weit wir Menschen kommen. Wenn Menschen die von Gott gegebene heilsame Ordnung des Lebens verletzen und zerstören, sich zur letzten Instanz, zum Weltenrichter machen, entsteht nicht ein Paradies, sondern es folgen Gewalt, Schrecken und Tod. Die Uniformen und die Ideologien mögen im Laufe der Geschichte wechseln, der Gang der Dinge ist gleich: die Welt wird auf diesem Weg für viele Menschen zur Hölle auf Erden.

Am Kreuz zeigt Gott, der diese Welt und uns Menschen ohne Vorbedingungen liebt, uns vor allem aber auch, was er für die Menschen und die Welt wirklich will:

a) Keinen Sündenbock mehr, auf den sich alles abwälzen oder abschieben ließe. Schluss!
b) Keine Opfer mehr. Um Gottes und der Menschen Willen: keine Opfer mehr – erst recht: keine Menschenopfer mehr. Schluss!
c) Keine Selbstoptimierung mehr. Schluss!Gott schaut mein Leben, so wie es ist, mit den Ecken und Kanten, mit den Irrungen und Wirrungen, der Mittelmäßigkeit und den Fragmenten gnädig an.

Jesus hat sich zum Sündenbock und zum Opfer gemacht. Das höre ich, wenn Paulus schreibt: „gestorben (ist) für unsere Sünden nach der Schrift“. Er zeigt uns Gott, der nichts Gnadenloses hat, sondern gnädig ist.

Das Kreuz Jesu Christi zeigt, dass Böses mit Gutem vergolten werden kann, „damit wir Frieden hätten“. Wo Menschen wie Paulus ihr Vertrauen im Leben und im Sterben auf den Gott richten, der sich in Jesus Christus gezeigt hat, kommt Neues in Gang 4.

2. Christus ist begraben und am dritten Tag von den Toten auferweckt worden

Wenn Paulus vom Sterben Jesu, von seiner Grablegung und seiner Auferweckung von den Toten spricht, dann spricht er nicht von einem längst vergangenen historischen Ereignis.

Er spricht in konzentrierten Sätzen davon, was Gott in Christus für uns heute tut.

Die biblischen Ostergeschichten erzählen anschaulicher von diesen Erfahrungen: Sie erzählen von Maria am leeren Grab, von den todtraurigen Jüngern auf dem Weg zurück in den Alltag ihres leer gewordenen Lebens. Sie erzählen von den Frauen (Evangelien), die Jesus, dem Auferstandenen, erst begegnen müssen, um nach und nach begreifen zu können: Jesus lebt. Für die EmmausJünger vergeht der Schrecken des Todes und des Nicht-Verstehens erst in der Begegnung mit dem Auferstandenen. Der rote Faden in diesen Ostergeschichten: Etwas Neues entsteht. Menschen werden zur Hoffnung angestiftet. Menschen trauen dem, der den Weg in den Tod gegangen ist. Und der auf diesem Weg von Gott nicht losgelassen wurde.

Paulus spricht von der Auferstehung, die Evangelien erzählen davon und wir bekennen das in jedem Gottesdienst. Dennoch spüren wir immer wieder und überall die Macht des Todes im eigenen Leben und in einer Woche mit den Terroranschlägen in Brüssel und dem Jahrestag des Germanwings-Absturzes in besonderer Weise. So wie am Anfang der christlichen Glaubensgeschichte Menschen stehen, die berührt und bewegt werden, so suchen auch wir, allen Todeserfahrungen zum Trotz, das Leben.

Wir hoffen auf den Geist von Ostern, den Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, der uns berührt und bewegt.

Damit das passiert, was immer passiert, wenn Menschen berührt und bewegt werden: Sie können nicht schweigen, sondern sie erzählen weiter.

Dass das Leben stärker ist als der Tod,
dass wir uns trotz Terror und Gefahr nicht durch Angst lähmen lassen
und dass wir nicht Hass mit Hass beantworten.
Dass Jesus lebt und wir mit ihm: das ist die Auferstehung.

Dass der Tod den Schrecken verliert und wir zuversichtlich und voller Hoffnung leben dürfen, das ist Ostern. Der Gott des Lebens kommt uns entgegen. Im Glaubensbekenntnis sprechen wir unseren Glauben an die Auferstehung aus:

– Wir glauben, dass auf Entsetzen, Furcht und Zittern Erlösung folgen wird.
– Wir glauben, dass nach Lähmung und dem Schrecken des Todes eine Zeit folgt, in der das Leben aufblüht, das nie vergeht.

Ostern wälzt Gott den Stein der Todesangst immer wieder von unseren Herzen und nimmt dem Tod dessen Stachel.

Christinnen und Christen glauben an den Auferstandenen, den Liebhaber des Lebens, und werden zu Anwälten des bedrohten und gefährdeten Lebens.

IV. Mein Oster-Glaubensbekenntnis

Paulus meldet sich zu Wort, indem er an ein, an sein Osterbekenntnis erinnert. Das Osterbekenntnis des Paulus wechsle ich in kleiner Münze so: Ich verlasse mich darauf, dass mich von der Liebe Gottes, wie sie sich im Gekreuzigten zeigt, nichts trennen kann:

– kein Gedanke, den ich denke;
– keine Frage, die ich stelle;
– kein Wort, das ich sage;
– keine Tat, die ich begehe;
– keine Situation, die ich erlebe.

Ich verlasse mich darauf, dass mich von der Liebe Gottes im Leben nichts trennen kann – seine Liebe lässt mich im Tod nicht los. Ungetrennt von Gott – aufgehoben seiner Liebe, die stärker ist als der Tod. So will ich leben und so kann ich sterben.

Als die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz gefragt wurde, welche ganz persönlichen Bilder sie zur Auferstehung habe, mündete dies in folgendem Dialog5 :

„Mehr also, fragen die Frager
Erwarten Sie nicht nach dem Tode?
Und ich antwortete
Weniger nicht.“

Amen.

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1 Etwa alle zehn Jahre untersucht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) aufwendig ihre Mitgliederschaft: Seit 1972 werden dafür Kirchenmitglieder in repräsentativer Zahl befragt, seit 1992 auch Ausgetretene und Konfessionslose, die noch nie Kirchenmitglieder waren. Dabei lassen die neuen Daten immer wieder aufhorchen, beschreiben sie doch die kulturelle, religiöse und soziale Vielfalt unserer Gesellschaft. Ebenso interessant ist auch die Auswertung der Daten durch die an der Untersuchung beteiligten Sozialwissenschaftler, Theologen und Kirchenleitenden.

2 Vgl. SZ vom 22.3.2016: „Unterschied zwischen Arm und Reich wächst“.

3 Die Kindertagesstätte „Unterm Regenbogen“, die Kinder- und Jugendarbeit des CVJM, die Konfirmandenarbeit mit Freizeiten, den Posaunenchor, den Singkreis, die Frauenhilfe, die Spielgruppen, den Besuchskreis, den Ökumenischen Gesprächskreis und anderes.

4 Einige Anregungen verdanke ich Professor Dr. Wilfried Härle, Heidelberg „… gestorben für unsere Sünden“ Die Heilsbedeutung des Todes Jesu Christi, 2011).

 

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